Mittwoch, 2. Mai 2012

Dreimal Böser Bursche oder wie ich drei Consilia Abeundi überlebte


Die zwei erschreckensten Worte die man einem Schüler im Gymnasium mitteilen kann, sind wohl “Consilium abeundi”, den Rat freiwillig aus der Schule auszutreten. Auf gut deutsch heißt das, Bursche, (Mädchen kommen ganz selten in diese Lage), wenn du dich noch einmal muckst, dann fliegst du raus.  Ein consilium abeundi zu bekommen kann einmal passieren, zwei davon ohne rauszufliegen ist praktisch unmöglich; eher schlüpft ein Kamel durch ein Nadelöhr. Drei consilium abeundis zu bekommen ohne rauszufliegen, dürfte wohl  einmalig in der Gechichte des Gymnasiums Michelstadt  gewesen sein. Aber dies passierte zwei Schülern in der gleichen Klasse, Dieter Bannert und meiner Wenigkeit. Ich bin keinesfalls stolz darauf.  Drei consilia abeundis hatte ich mir bestimmt nicht verdient. Na ja, Ihr könnt selbst darüber entscheiden.

Ich war mit Dieter Bannert  befreundet. Dieter und ich haben, zusammen mit Hermann Abbé, anfang Juli 1952 eine zweiwöchige Radtour durch den Schwarzwald-Bodensee gemacht, in anderen Worten, wir waren eng befreundet. Im Herbst gab es den Grossen Preis vom Odenwald im Seifenkistenrennen  (Soapbox Derby). Austragsort war der Kisselberg in Michelstadt. Ich hatte mich sofort entschlossen mitzumachen.  Dieter Bannert machte auch mit. Die “Rennwagen” mussten selbst gebaut werden und waren strengen Vorschriften unterlegen. Opel war der Veranstalter. Der Sieger durfte dann im Grossen Preis von Deutschland in Hamburg mitfahren. Die ersten fünf Platzierten in Hamburg, wurden dann under der Sponsorship von Opel zur Weltmeisterschaft in Akron, Ohio eingeladen. Ich brauchte natürlich einen Sponsor, da ich absolut kein Geld hatte mir die nötigen Teile und das Material zu kaufen. EDEKA war willig meine Seifenkiste zu sponsern und übernahm alle Kosten. Mein Renner musste natürlich Edeka blau sein mit dem gelben Edeka Logo. Meine Kiste war schon am Donnerstag vor dem Rennen fertig und sah aus wie ein Bugatti Rennwagen. Dieters Seifenkiste war noch im Rohbau and brauchte mindesten noch ein-und-einen halben Tag mit meiner Hilfe, um startbereit zu sein. Dieter und ich machten jetzt eine Entscheidung, die uns später teuer zu stehen kam. Wir entschossen uns, am Freitag und Samstag morgen die Schule zu schwänzen, um Dieters Renner fertig zu bauen. Das Rennen war am Sonntag Dieters Seifenkiste war am Samstag Nachmittag fertig und wir machten eine Probefahrt auf der Strasse nach Eulbach. Am Sonntag lief das Rennen am Kisselberg. Die Gesamtzeit von zwei Läufen wurde gewertet. Ich kam auf den zweiten Platz, Dieter auf Platz “unter ferner liefen”. Vorbei war mein Traum von Hamburg und Akron, Ohio. In der folgenden Woche war es in der ganzen Schule bekannt, dass wir zwei Tage Klassen “geschwänzt” hatten wegen einem Seifenkistenrennen. Die Strafe blieb nicht aus. Meine Mutter bekam einen Brief von Rektor Reichhelm.Ich bekam das Consilium Abeundi, so auch Dieter. Ich bekam einen Eintrag ins Klassenbuch, eine Note” Vier” in Betragen und wurde angewiesen mit Dieter auch ausserhalb der Schule keinen Kontakt aufzunehmen. Dieter wurde in die B-Klasse versetzt.

Dies war der erste Streich, der Zweite folgt zugleich, wie schon Wilhelm Busch schrieb. Für die nächste Missetat war ich ganz allein verantwortlich. Wolfram Becher war ein begeisterter Naturkundler und unser Lateinlehrer. Wir pürschten mit ihm durch die Wälder auf den Spuren der alten Römer oder um  Hünengräber auszubuddeln. Von seinem Lateinunterricht war ich weniger begeistert. Aber dies lag mehr an der “toten” Sprache  als an seiner Person. In einer Lateinklasse stand Studienrat Becher vor uns und las mit Begeisterung aus  De Bello Gallico . Seine rechte Hand war erhoben als umfasste sie ein römisches Kurzschwert. Es klingelte und Gott-sei-Dank die Klasse war zu ende, doch Becher  (alias Julius Caesar) hörte das Klingeln nicht, noch das Räuspern und Husten der Klasse. Der Endsieg über die Gallier war ja so nahe. Ich sass wie immer auf der ersten Bank und spielte mit einer winzigen Schreckschusspistole. Es war wirklich ein Spielzeug, als Schlüsselring gedacht. Man konnte aber damit ein Zündblatt knallen. Was mich dazu bewog das Pistölchen gezielt auf Becher abzudrücken, weiss ich auch heute noch nicht. Der Knall in dem hohen Saal war ohrenbetäubend. Ich sah nur, durch die Rauchwolke hindurch, wie Becher wie ein Taschenmesser am Pult zusammenklappte, dann hörte ich seine Stimme: ”Bauer komm mit”. Er schleifte mich buchstäblich zum Rektor. Ich sass zitternd im Vorzimmer und marterte mein Gehirn nach einer plausiblen Erklärung die ich Reichhelm erzählen könnte. Becher verliess das Büro ohne mich anzusehen. Als ich zögernd eintrat, sass Dr. Reichhelm am Schreibtisch. Er beäugelte das “Spielzeug”, das nicht grösser war als ein Fünfmarkstück, in seiner patschigen Hand. Seine dicke Hornbrille lag auf dem Schreibtisch. Er setzte sie wieder auf und schaute mich an. Er schien mich zu erkennen, ich war ja sein Musterschüler in dem Wahlfach Religionsgeschichte das er lehrte. Ich war freireligiös und war damit von allen Religionsfächern befreit. Trotzdem habe ich sein Fach gewählt, weil mich Relgionsgeschichte sehr interessierte. Dies war auch meine einzige “Eins”, die ich in meinen neun Jahren im Gymnasium vorzuweisen hatte. Ich habe natürlich Reichhelm erzählt, ich hätte das “Spielzeug” nach dem Klassenschluss aus meiner Tasche genommen, was auch wahr war. Sie wäre halt ausversehen losgegangen. Ich hätte natürlich nicht gewusst, dass ein Zündblättchen drin war. Ich würde mich selbstverständich bei Studienrat Becher entschuldigen. Reichhelm nickte vertändlich und ich hoffte, die Sache wäre damit erledigt gewesen. Ich glaube, dass Becher dieses Ereignis bei der nächsten Lehrerversammlung etwas anders erklärt hat. Die Rechnung fur diesen Streich kam in einem Brief an meine Mutter. Ein zweites Consilium Abeundi, Eintrag ins Klassenbesuch und weiterhin eine “Vier” im Betragen. Als ich 1963 nach sechs Jahre Abwesentheit in Kanada das Gymnasium besuchte, konnte sich unser ehemaliger Englischlehrer Hallstein an diesen Vorfall erinnern. Die Lehrerversammlung hatte beschlossen mich zum sofortigen Ausdritt zu veranlassen. Es war Reichhelm der mir mein “Leben” rettete mit dem zweiten Consilium Abeundi. Religionsunterricht macht sich halt doch bezahlt. Ich weiss nicht, was aus mir geworden wäre, hätte das Gymnasium mich damals rausgeworfen. 1963 traf ich auch  Dr. Reichhelm im Café Leyhausen. Ich stellte mich vor, aber er konnte sich  nicht mehr an mich erinnern. Gott sei Dank.

Das dritte Consilium Abeundi erhielt die gesamte Klasse gemeinsam durch die Herausgabe der Magnaten Bierzeitung. Ich hatte mich an der Ausgabe mit keinem Wort oder Pinselstrich beteiligt, aus verständlichen Gründen. Schon der Artikel “Velle, nolle, malle” über die Bolle allein, hätte genügt den Autoren ein Consilium Abeundi zu geben. Aber die Klasse gab keinen Namen der Schriftsteller, Zeichner oder Verleger preis, deshalb bekam die ganze Klasse die gefürchtete Strafe, so nach dem Motto: mitgegangen, mitgehangen”.’

 Einige Lehrer haben uns angeregt in ihren Klassen und fürs Studium vorbereitet. Aber es gab leider auch einige Pauker die uns Angstgefühle vor Prüfungen eingejagt haben und sie haben damit uns Alpträume auf den Lebensweg mitgegeben. Von diesen Lehrern habe ich nur eins gelernt: Nie auf diese Art und Weise zu lehren.


Gunther Bauer

2 Kommentare:

  1. So - als ich das Consilium bekam tat jeder so (oder ich dachte halt so) als wenn ich der einzige seit langer Zeit gewesen waere und dass ich somit stigmatisiert war als Schlimmster alller Zeiten. Dabei ware das garnichts - harmloses Stecknadelgeschaeft! So, wir haben also den Bauer, den Bannert und dann haben wir noch eine weitere (jawohl, eine Schuelerin!) - und ich have sie schon animiert, ihre Geschichte zusammenzuschreiben! Uebrigens: Hatte jemand in der B je ein Consilium???

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  2. Mop - der Vorlaeufer des modernen Terrorismus! Ueberlegt Euch mal, dass jemand heute in einer Schule (bes. in USA) eine Schreckschusspistole abfeuern wuerde! Homeland Security wuerde den verhaften und vor Gericht stellen, nach einigen Jahren Untersuchungshaft.

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