Die zwei erschreckensten Worte die man einem Schüler im Gymnasium mitteilen
kann, sind wohl “Consilium abeundi”, den
Rat freiwillig aus der Schule auszutreten. Auf gut deutsch heißt das, Bursche,
(Mädchen kommen ganz selten in diese Lage), wenn du dich noch einmal muckst, dann
fliegst du raus. Ein consilium abeundi
zu bekommen kann einmal passieren, zwei davon ohne rauszufliegen ist praktisch unmöglich;
eher schlüpft ein Kamel durch ein Nadelöhr. Drei consilium abeundis zu bekommen
ohne rauszufliegen, dürfte wohl einmalig
in der Gechichte des Gymnasiums Michelstadt gewesen sein. Aber dies passierte zwei
Schülern in der gleichen Klasse, Dieter Bannert und meiner Wenigkeit. Ich bin
keinesfalls stolz darauf. Drei consilia abeundis hatte ich mir bestimmt nicht verdient. Na ja, Ihr könnt selbst darüber
entscheiden.
Ich war mit Dieter Bannert
befreundet. Dieter und ich haben, zusammen mit Hermann Abbé, anfang Juli
1952 eine zweiwöchige Radtour durch den Schwarzwald-Bodensee gemacht, in
anderen Worten, wir waren eng befreundet. Im Herbst gab es den Grossen Preis vom
Odenwald im Seifenkistenrennen (Soapbox
Derby). Austragsort war der Kisselberg in Michelstadt. Ich hatte mich sofort
entschlossen mitzumachen. Dieter Bannert
machte auch mit. Die “Rennwagen” mussten selbst gebaut werden und waren strengen
Vorschriften unterlegen. Opel war der Veranstalter. Der Sieger durfte dann im Grossen
Preis von Deutschland in Hamburg mitfahren. Die ersten fünf Platzierten in
Hamburg, wurden dann under der Sponsorship von Opel zur Weltmeisterschaft in Akron,
Ohio eingeladen. Ich brauchte natürlich einen Sponsor, da ich absolut kein Geld
hatte mir die nötigen Teile und das Material zu kaufen. EDEKA war willig meine
Seifenkiste zu sponsern und übernahm alle Kosten. Mein Renner musste natürlich
Edeka blau sein mit dem gelben Edeka Logo. Meine Kiste war schon am Donnerstag
vor dem Rennen fertig und sah aus wie ein Bugatti Rennwagen. Dieters
Seifenkiste war noch im Rohbau and brauchte mindesten noch ein-und-einen halben
Tag mit meiner Hilfe, um startbereit zu sein. Dieter und ich machten jetzt eine
Entscheidung, die uns später teuer zu stehen kam. Wir entschossen uns, am
Freitag und Samstag morgen die Schule zu schwänzen, um Dieters Renner fertig zu
bauen. Das Rennen war am Sonntag Dieters Seifenkiste war am Samstag Nachmittag
fertig und wir machten eine Probefahrt auf der Strasse nach Eulbach. Am Sonntag
lief das Rennen am Kisselberg. Die Gesamtzeit von zwei Läufen wurde gewertet.
Ich kam auf den zweiten Platz, Dieter auf Platz “unter ferner liefen”. Vorbei
war mein Traum von Hamburg und Akron, Ohio. In der folgenden Woche war es in
der ganzen Schule bekannt, dass wir zwei Tage Klassen “geschwänzt” hatten wegen
einem Seifenkistenrennen. Die Strafe blieb nicht aus. Meine Mutter bekam einen
Brief von Rektor Reichhelm.Ich bekam das Consilium Abeundi, so auch Dieter. Ich
bekam einen Eintrag ins Klassenbuch, eine Note” Vier” in Betragen und wurde
angewiesen mit Dieter auch ausserhalb der Schule keinen Kontakt aufzunehmen. Dieter
wurde in die B-Klasse versetzt.
Dies war der erste Streich, der Zweite folgt zugleich, wie schon Wilhelm
Busch schrieb. Für die nächste Missetat war ich ganz allein verantwortlich. Wolfram
Becher war ein begeisterter Naturkundler und unser Lateinlehrer. Wir pürschten
mit ihm durch die Wälder auf den Spuren der alten Römer oder um Hünengräber auszubuddeln. Von seinem Lateinunterricht
war ich weniger begeistert. Aber dies lag mehr an der “toten” Sprache als an seiner Person. In einer Lateinklasse
stand Studienrat Becher vor uns und las mit Begeisterung aus De
Bello Gallico . Seine rechte Hand war erhoben als umfasste sie ein
römisches Kurzschwert. Es klingelte und Gott-sei-Dank die Klasse war zu ende,
doch Becher (alias Julius Caesar) hörte das
Klingeln nicht, noch das Räuspern und Husten der Klasse. Der Endsieg über die
Gallier war ja so nahe. Ich sass wie immer auf der ersten Bank und spielte mit
einer winzigen Schreckschusspistole. Es war wirklich ein Spielzeug, als
Schlüsselring gedacht. Man konnte aber damit ein Zündblatt knallen. Was mich
dazu bewog das Pistölchen gezielt auf Becher abzudrücken, weiss ich auch heute
noch nicht. Der Knall in dem hohen Saal war ohrenbetäubend. Ich sah nur, durch
die Rauchwolke hindurch, wie Becher wie ein Taschenmesser am Pult
zusammenklappte, dann hörte ich seine Stimme: ”Bauer komm mit”. Er schleifte
mich buchstäblich zum Rektor. Ich sass zitternd im Vorzimmer und marterte mein
Gehirn nach einer plausiblen Erklärung die ich Reichhelm erzählen könnte.
Becher verliess das Büro ohne mich anzusehen. Als ich zögernd eintrat, sass Dr.
Reichhelm am Schreibtisch. Er beäugelte das “Spielzeug”, das nicht grösser war als
ein Fünfmarkstück, in seiner patschigen Hand. Seine dicke Hornbrille lag auf
dem Schreibtisch. Er setzte sie wieder auf und schaute mich an. Er schien mich
zu erkennen, ich war ja sein Musterschüler in dem Wahlfach Religionsgeschichte
das er lehrte. Ich war freireligiös und war damit von allen Religionsfächern
befreit. Trotzdem habe ich sein Fach gewählt, weil mich Relgionsgeschichte sehr
interessierte. Dies war auch meine einzige “Eins”, die ich in meinen neun
Jahren im Gymnasium vorzuweisen hatte. Ich habe natürlich Reichhelm erzählt,
ich hätte das “Spielzeug” nach dem Klassenschluss aus meiner Tasche genommen,
was auch wahr war. Sie wäre halt ausversehen losgegangen. Ich hätte natürlich
nicht gewusst, dass ein Zündblättchen drin war. Ich würde mich
selbstverständich bei Studienrat Becher entschuldigen. Reichhelm nickte
vertändlich und ich hoffte, die Sache wäre damit erledigt gewesen. Ich glaube,
dass Becher dieses Ereignis bei der nächsten Lehrerversammlung etwas anders erklärt
hat. Die Rechnung fur diesen Streich kam in einem Brief an meine Mutter. Ein
zweites Consilium Abeundi, Eintrag ins Klassenbesuch und weiterhin eine “Vier”
im Betragen. Als ich 1963 nach sechs Jahre Abwesentheit in Kanada das Gymnasium
besuchte, konnte sich unser ehemaliger Englischlehrer Hallstein an diesen
Vorfall erinnern. Die Lehrerversammlung hatte beschlossen mich zum sofortigen
Ausdritt zu veranlassen. Es war Reichhelm der mir mein “Leben” rettete mit dem
zweiten Consilium Abeundi. Religionsunterricht macht sich halt doch bezahlt.
Ich weiss nicht, was aus mir geworden wäre, hätte das Gymnasium mich damals
rausgeworfen. 1963 traf ich auch Dr.
Reichhelm im Café Leyhausen. Ich stellte mich vor, aber er konnte sich nicht mehr an mich erinnern. Gott sei Dank.
Das dritte Consilium Abeundi erhielt die gesamte Klasse gemeinsam durch die
Herausgabe der Magnaten Bierzeitung. Ich hatte mich an der Ausgabe mit keinem
Wort oder Pinselstrich beteiligt, aus verständlichen Gründen. Schon der Artikel
“Velle, nolle, malle” über die Bolle allein, hätte genügt den Autoren ein
Consilium Abeundi zu geben. Aber die Klasse gab keinen Namen der
Schriftsteller, Zeichner oder Verleger preis, deshalb bekam die ganze Klasse
die gefürchtete Strafe, so nach dem Motto: mitgegangen, mitgehangen”.’
Gunther Bauer
So - als ich das Consilium bekam tat jeder so (oder ich dachte halt so) als wenn ich der einzige seit langer Zeit gewesen waere und dass ich somit stigmatisiert war als Schlimmster alller Zeiten. Dabei ware das garnichts - harmloses Stecknadelgeschaeft! So, wir haben also den Bauer, den Bannert und dann haben wir noch eine weitere (jawohl, eine Schuelerin!) - und ich have sie schon animiert, ihre Geschichte zusammenzuschreiben! Uebrigens: Hatte jemand in der B je ein Consilium???
AntwortenLöschenMop - der Vorlaeufer des modernen Terrorismus! Ueberlegt Euch mal, dass jemand heute in einer Schule (bes. in USA) eine Schreckschusspistole abfeuern wuerde! Homeland Security wuerde den verhaften und vor Gericht stellen, nach einigen Jahren Untersuchungshaft.
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