Mittwoch, 2. Mai 2012

Mop der Clown



Als Kleinster in der Klasse fühlte man sich oft übersehen. Vielleicht versucht man deswegen durch clownhaftes Benehmen Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich sass auch meistens in der vorderen Reihe, um besser lesen zu können, was auf der Tafel geschrieben stand. Ich wollte eben nichts verpassen. Das Vornesitzen hatte natürlich auch Nachteile. Man war immer im Blickpunkt des Lehrers oder Lehrerin. Bei der kleinsten Unruhe in der Klasse, fiel der strenge Blick auf die vordere Reihe.  “Bauer, was ist den schon wieder los, kannst Du nicht ruhig sitzen ?” Wie oft hörte ich diese Worte von Fräulein Dr. Seibold, bei der Klasse als “Bolle” bekannt. Wenn sie irgendetwas vorlas, setzte sie sich auf den Tisch der ersten Bank mit ihren Füßen auf der Sitzfläche. Ihre Kniee waren so gerade in meiner Augenhöhe. Hosen oder Jeans waren damals nicht Mode bei Damen. Als ihr Rock immer höher rutschte, flüsterte Volker Blüm, der hinter mir saß, in mein Ohr: “ welche Farbe Höschen hat sie denn heute an, oder hat sie keins an ?”

Eine andere Episode, bei der ich allein schuldig war, spielte sich bei Jakob Dingeldey in der Physikklasse ab. Wir mochten Jakob gut leiden, zitterten aber am Beginn jeder Klasse, dass man aufgerufen würde, um über den Lehrstoff der letzten Stunde zu berichten. Jakob Dingeldey hatte, wie jeder wußte, Probleme lange Fremdwörter auszusprechen. Zum Beispiel, das Wort Elektrizität wurde zur Elexität zusammengenuschelt. Ausserdem verschluckte er die K-Laute. Das Wort Knochen bekamen wir als Nochen zu hören. Wir hatten uns daran aber gewöhnt und mochten ihn trotzdem. Die erste Stunde war Physik. Es war schon 8 Uhr und Dingeldey war nirgendwo zu sehen. Da kam unser Hausmeister Steiner in die Klasse und verkündigte, nicht wie normalerweise, ich und der Chef wir haben beschlossen, sonder einfach, “ Oberstudienrat Dingeldey wird gleich hier sein, also bleibt auf euren Plätzen und verhaltet euch ruhig”.  Für mich war dies das Stichwort, wieder den Clown zu spielen. Ich ging vor die Klasse, klopfte mit dem Lineal auf das Pult um Ruhe zu schaffen und fing an eine Vorlesung zu geben.
“Letzte Stunden sprachen wir über das Thema der Elexität (Gelächter in der Klasse). Wir nahmen einen hohlen Nochen, leiteten Elexität hindurch und bestimmten den Propernalitätsfaktor (schallendes Gelächter). Unbemerkt von mir war Jakob in die Klasse gekommen und hatte alles mit angehört.  Er sagte: “Ja Bauer, dann erzähl uns mal, was wir wirklich in der letzten Stunde durchgenommen haben“. Als ich verlegen und stotternd anfing : “ …letzte Stunde sprachen wir über die Trägheit eines Körpers. Dazu machten wir einen sehr interessanten Versuch…”. Weiter kam ich nicht, da die Klasse wieder in schallendes Gelächter ausbrach. Jetzt hatte auch Jakob genug von mir und er sagte: “Bauer, setzt Dich hin”.

Im Jahre 1963 war ich zum ersten Mal wieder in der alten Heimat zusammen mit meiner Frau. Wir besuchten auch Jakob Dingeldey und seine Frau in Lauerbach. Er freute sich sehr über den Besuch und besonders darüber, als ich ihm sagte, dass seine Klassen in Mathematik und Physik mir ein Ansporn zum Studium gewesen wären. Diese Besuche zum “Gasthaus zur Hohen Treppe” wurden zur Tradition.  Bei jedem Deutschlandbesuch kamen wir in Lauerbach vorbei und trugen uns in sein Gästebuch ein.  Wir tauschten auch Neuigkeiten aus über  die anderen Klassenkameraden.


Gunther Bauer

2 Kommentare:

  1. Schoene elxifizierende Story! Danke, HPB

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  2. Eigentlich erinnert mich Deine Geschichte an mein erstes Schuljahr in Prag, so etwa 1943: Wir balgten uns waehrend der Pause in ueblicher Weise, und ich lag noch am Boden, als ploetzlich voellige Ruhe eintrat: Das kam mir spanish vor, und ich sprang auf und haute mit aller Wucht auf meinen Tisch - Bumm! Und dann sah ich, dass die Ruhe deshalb eingetreten war, weil der Lehrer schon vorne stand. Die Frage "Wo ist der Baer" eruebrigte sich damit fuer ihn - er behielt mich sicher im Augenmerk fuer den Rest des Schuljahrs. HPB

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